Vernetzung und Ausbau der Frauenmilchbanken in Deutschland

Bedürftige Frühgeborene und kranke Neugeborene brauchen Muttermilch. Ist das nicht möglich müssen sie gespendete Frauenmilch aus einer Frauenmilchbank erhalten. Das zu fördern hat sich die Frauenmilchbank-Initiative e. V. zum Ziel gesetzt.

Ein Interview mit Corinna Gebauer und Judith Karger-Seider, Gründungmitglieder der Frauenmilchbank-Initiative e. V.

Wie ist die Frauenmilchbank-Initiative e. V. entstanden und durch wen?

C. Gebauer: Von der Idee zu einer deutschlandweiten Vertretung der Frauenmilchbanken (FMB) bis zur Gründung der Frauenmilch-Initiative sind etwa sechs Jahre vergangen. In Leipzig fanden schon viele Jahre lang regelmäßige jährliche Treffen der Mitarbeiter|innen|Mitarbeitys der bestehenden Frauenmilchbanken statt. Auf diesen FMB-Symposien gab es Vorträge zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen rund um die FMB-Spende, Ernährung mit Muttermilch, Arbeit in FMB und einen regen Erfahrungsaustausch zwischen den einzelnen Frauenmilchbanken. Ein Programmpunkt auf dem Symposium 2012 war »Ein Netzwerk der Frauenmilchbanken in Deutschland«. Die damals vorhandenen zirka zehn FMB waren in den 1990er und frühen 2000er Jahren nur auf dem Gebiet der neuen Bundesländer vertreten. Als Klinik eine FMB zu betreiben war etwas Besonderes, auf wissenschaftlichen Kongressen wurde Ernährung mit Frauenmilch nahezu kaum thematisiert. Andere Länder hatten damals schon nationale Organisationen der FMB wie z. B. in USA und Kanada die HMBANA (Human Milk Bank Organisation of North America) oder in Großbritannien die UKAMB (United Kingdom Association for Milk Banking).

Judith Karger-Seider

Im Jahr 2010 wurde die europäische Milchbank Organisation – EMBA (European Milk Bank Association) – gegründet. Hier hatte ich die Gelegenheit als Gründungsmitglied mit dabei zu sein. Über die Arbeit in der EMBA zeigte sich, wie viel mehr mit einer nationalen FMB-Organisation erreicht werden kann. Damals war es schon jedem zu frühgeborenem Kind in Schweden möglich, gespendete Frauenmilch in der Klinik zu bekommen, falls die eigene Mutter nicht genug Milch hatte. In Deutschland konnte das nur in sehr wenigen Kliniken realisiert werden. Etwa zehn bis zwölf FMB standen mehr als 100 Perinatalzentren, d. h. Kliniken, die sehr kleine Frühgeborene behandeln, gegenüber. Das musste unbedingt verbessert werden. Gleichzeitig galt es den immensen Wert der Milch der eigenen Mutter in der Behandlung von Frühgeborenen zu betonen. Anne Sunder-Plaßmann, die spätere Geschäftsführerin, kannte ich von den Leipziger FMB-Treffen und Dr. Daniel Klotz, Oberarzt für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin, lernte ich auf einem EMBA-Symposium kennen. Zusammen brachten wir den Stein Frauenmilchbank-Initiative e. V. ins Rollen. Nach kurzer Vorbereitungszeit gründeten wir am 2. Mai 2018 in Erfurt zusammen mit weiteren Vertreter|innen|Vertretys aus FMB und aus Pflegeberufen, Still- und Laktationsberater|innen|Still- und Laktationsberatys, Neonatolog|innen|ys, Kinderärzt|innen|ys und Wissenschaftler|innen|Wissenschaftlys die FMBI als gemeinnützigen Verein.

Was ist der Zweck bzw. das Ziel des Vereins?

J. Karger-Seider: Die FMBI setzt sich für eine gute Stillförderung ein. Ziel ist es, dass alle bedürftigen Frühgeborenen und kranken Neugeborenen einen Zugang zu gespendeter Frauenmilch aus einer Frauenmilchbank erhalten, wenn die Milch der eigenen Mutter noch oder nicht ausreichend vorhanden ist. Es ist von verschiedenen internationalen und nationalen Organisationen und Fachgesellschaften empfohlen, dass Frühgeborene, deren Mütter noch keine eigene Milch oder nicht ausreichende Mengen an Muttermilch haben, gespendete Frauenmilch erhalten sollten. Eine künstliche Säuglingsnahrung steht in der Liste der Empfehlungen erst an 3. Stelle. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, dass im Jahr 2023 alle Bundesländer zumindest eine Frauenmilchbank haben.

Werden Sie nach heutigem Stand und Wissen dieses Ziel erreichen?

J. Karger-Seider: Aktuell gibt es nur in Rheinland-Pfalz noch keine Frauenmilchbank. Es gibt jedoch bereits Pläne für Milchbanken auch in diesem Bundesland. Daher sind wir zuversichtlich, dass unser Ziel im nächsten Jahr erreicht wird.

Und wie erreichen Sie dieses Ziel?

C. Gebauer: Die Mitglieder der FMBI beraten und unterstützen Kliniken bei der Planung und Aufbau von Frauenmilchbanken. Außerdem informieren wir auf Fachkongressen mit Vorträgen, Workshops zum Aufbau und Betrieb von FMB und Informationsständen zum Thema Frauenmilchbanken. Auf unserer Internetseite ist eine Übersicht über die Standorte der FMB in Deutschland mit Daten zu Ansprechpartner|innen|Ansprechpartnys und Informationen über die einzelnen FMB erhältlich. Des Weiteren sind darüber sämtliche Projekte, Veröffentlichungen und Vorträge öffentlich zugänglich.

Die FMBI ist in nationalen Gremien wie z. B. der Nationalen Stillkommission vertreten, damit setzen wir uns u. a. dafür ein, dass Deutschland stillfreundlicher wird.

Corinna Gebauer

Was haben Sie bis jetzt erreichen können? Gibt es Meilensteine?

C. Gebauer: Die Aufmerksamkeit und Nachfrage für Frauenmilch in der Ernährung von Frühgeborenen und kranken Neugeborenen ist deutlich gestiegen. Die richtige Ernährung von Neugeborenen ist mittlerweile ein fester Bestandteil auf kinderärztlichen Fachtagungen. Man ist sich dort sehr einig, dass Spendermilch wichtig ist. Trotzdem ist der Weg, den Kliniken zur Einrichtung einer FMB beschreiten müssen, noch immer sehr steinig. Eine Initiative im Niedersächsischen Landtag aus dem Jahr 2016 führte zu einer Förderung zum Aufbau von drei FMB in Niedersachsen, einem Bundesland, das zum damaligen Zeitpunkt keine FMB hatte. Dieses Vorgehen wurde von der FMBI aufgegriffen. Zusammen mit Vertreter|innen|Vertretys aus lokalen Kinderkliniken und weiteren Sachverständigen startete die FMBI Anfragen in den Landtagen von Schleswig-Holstein und unterstützte die Anfrage im Landtag von Nordrhein-Westfalen.

Durch FMBI e. V. initiiert, meldete die Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin (GNPI) die Erstellung einer Leitlinie zur Vereinheitlichung der Standards zum Betrieb von Frauenmilchbanken an.

Zum jetzigen Zeitpunkt arbeiten in Deutschland schon 35 Frauenmilchbanken, dreimal so viele wie vor zehn Jahren. Das reicht nicht für eine flächendeckende – geschweige denn für eine bedarfsgerechte – Versorgung aus.

Was erschwert Ihnen die Arbeit?

C. Gebauer: Die meisten Frauenmilchbanken in Deutschland werden aus den Betriebsmitteln der zugehörigen Klinik finanziert. Der zusätzliche Aufwand, der durch die Ernährung mit gespendeter Frauenmilch entsteht, wird nicht von den Krankenkassen vergütet. Verglichen mit Formulanahrung (industriell hergestellte künstliche Säuglingsnahrung) sind die Kosten für Frauenmilch für eine Klinik auf den ersten Blick deutlich höher. Dass eine Ernährung mit rein menschlicher Milch, also Mutter- und gespendeter Frauenmilch, kurz-, mittel- und langfristig einen Überlebensvorteil und Gesundheitsprävention bedeutet, wird leider hierzulande nicht ausreichend im Abrechnungssystem abgebildet. Eine Frauenmilchbank neu zu eröffnen und anschließend zu betreiben, ist in Deutschland mit deutlichen Mehrkosten und bürokratischen Hürden verbunden.

Die FMB in Deutschland arbeiten alle nicht profitorientiert und grenzen sich ganz klar von weltweit existierenden profitorientierten Firmen ab, die Frauenmilch kommerzialisieren.

Die Bereitschaft von Müttern, die einen Milchüberschuss haben, diesen zu spenden, ist groß – pro Jahr sind das in Deutschland insgesamt mehrere Tausend Liter. Damit sichern sie das Überleben von vielen Frühgeborenen und sorgen für eine bessere Entwicklung der Kinder. Die Abgabe von Milch an eine FMB ist für mögliche Frauenmilchspenderinnen aktuell nur dann möglich, wenn sie im Umkreis einer Frauenmilchbank wohnen. Die Schaffung eines sicheren und finanziell vertretbaren Logistik- und Transportsystems würde es auch Müttern in Gebieten ohne Milchbank ermöglichen Milch zu spenden. Modelle dazu gibt es bereits in anderen Ländern.

Ihnen steht eine große Industrie mit viel Geld gegenüber, die natürlich ihr Produkt – die Formulanahrung – an das Baby bringen will. Erleben Sie als das? Hat sich die öffentliche Meinung dahingehend bereits verändert?

C. Gebauer: Formulannahrung und Muttermilch sind trotz moderner, kontrollierter Herstellungsverfahren der Baby-Nahrungs-Industrie keine gleichwertigen Produkte. Die Unterschiede von Formulanahrung und Muttermilch müssen auch immer wieder hervorgehoben werden. Muttermilch enthält so viel mehr als nur reine Nährstoffe. Eine künstlich hergestellte Nahrung wird niemals die Vielfältigkeit der Inhaltsstoffe von menschlicher Milch nachahmen können. Für Formulanahrung gibt es definitiv Einsatzbereiche: Beispielsweise gibt es nicht ausreichend gespendete Frauenmilch für alle Neugeborenen und größeren Säuglinge, deren Mütter selbst nicht genug Muttermilch trotz suffizienter Stillunterstützung oder keine Milch z. B. aufgrund von Vorerkrankungen haben. Ein weiteres Beispiel sind die sogenannten Fortifier, meist auf Kuhmilch basierte pulverförmige oder flüssige Konzentrate, die der Muttermilch beigemischt werden, um vor allem dem Proteinbedarf von sehr kleinen Frühgeborenen in den ersten Wochen nach Geburt gerecht zu werden und damit ein normales Wachstum zu ermöglichen. Die Frühgeborenen-Intensivmedizin ist in diesem Bereich auf die industriell hergestellten Milchprodukte angewiesen.

In der Frauenmilchbank wird die Milch für die Babies gesammelt, die sie dringend brauchen.

Gibt es aktuelle Probleme, die Sie als Verein aktuell versuchen zu lösen?

J. Karger-Seider: Die FMBI ist ein gemeinnütziger Verein, wir im Vorstand arbeiten ehrenamtlich. Zur Umsetzung unserer Ziele benötigen wir Sponsoren und Unterstützung auch aus dem nicht medizinischen Bereich. Experten aus dem Bereich Finanzen und Steuern sind uns herzlich Willkommen.

Wie können Interessierte, Sie unterstützen?

J. Karger-Seider: Wir freuen uns über neue Mitglieder, neue Partner|innen|Partnys, Spender|innen|Spendys und Sponsor|innen|ys, die uns unterstützen bei der Umsetzung unserer Ziele.

Welche Frage würden Sie gern gestellt bekommen und beantworten?

C. Gebauer: Was könnte im klinischen Alltag zur Verbesserung der Ernährung von Frühgeborenen beitragen werden?

Bitte: Was könnte zur Verbesserung beitragen?

Das Bewusstsein und der Stellenwert dafür, dass Muttermilch die natürliche und optimale Ernährung für Frühgeborene und Neugeborene ist, muss selbstverständlich sein. Die Ernährung mit künstlicher Formulanahrung darf nur die Ausnahme werden. Wissenschaftliche Studien beschäftigten sich viel zu lange damit, den Vorteil von Muttermilch gegenüber Formula zu belegen. Studien zu einem Vorteil oder Gleichwertigkeit von Formulanahrung gegenüber Muttermilch gibt es nicht, trotzdem ist die Geschichte der Vermarktung von künstlicher Säuglingsnahrung eine sehr erfolgreiche.

In Perinatalzentren muss ein Umfeld zur Stillförderung und Unterstützung von Müttern mit zu frühgeborenen Kindern oder kranken Neugeborenen geschaffen und aufrechterhalten werden, damit Kinder optimale Voraussetzungen zu einer langfristigen Ernährung mit Muttermilch erhalten. Hierzu zählen auch ein uneingeschränkter Zugang zum Kind und optimale Rooming-in-Angebote. Eine uneingeschränkte Versorgung von Kindern mit rein menschlicher Milch ist nur in einem Umfeld möglich, in dem Muttermilch einen hohen Stellenwert hat. Nur wenn es ausreichend Mütter mit einem Überschuss an Milch gibt, steht gespendete Frauenmilch Kindern, die diese benötigen und für die diese Ernährung überlebenswichtig sein kann, zur Verfügung. Ohne stillende Mütter gibt es keine gespendete Frauenmilch.

Gibt es Bestrebungen in Ihrem Verein für die Abgabe von Frauenmilch zu werben und Frauen dahingehend zu unterstützen?

C. Gebauer: Als Verein werben wir nicht direkt Mütter für die Abgabe von Frauenmilch. Wir betreiben Informations- und Aufklärungsarbeit, um sowohl medizinisches Fachpersonal, Politiker als auch Eltern und die Bevölkerung über den enormen Vorteil der Ernährung von Kindern mit Mutter- und Frauenmilch nahezubringen. Wir geben Informationen zu den Voraussetzungen Frauenmilchspenderin zu werden.

Auf der Homepage der FMBI ist eine Liste der aktuell offiziell bekannten Frauenmilchbanken in Deutschland hinterlegt. Neben der Lokalisation der Frauenmilchbanken sind dort kurze Informationen zur jeweiligen Milchbank und Klinik aufgelistet, des Weiteren Kontaktdaten (Telefonnummern und E-Mail-Adressen) der jeweiligen Ansprechpartner|innen|Ansprechpartnys der Frauenmilchbank. Sehr gerne vermitteln wir auch direkt Anfragen von Müttern, die gerne Milch spenden möchten, an Milchbanken innerhalb Deutschlands. Einige Frauenmilchbanken akzeptieren nur sogenannte interne Spenderinnen, das heißt Mütter, deren Kinder selbst noch als Patienten in der Neonatologie behandelt werden. Milchbanken, die auch gespendete Milch von Müttern mit reifen gesunden Neugeborenen oder schon älteren Säuglingen akzeptieren, bezeichnen wir als Milchbanken mit externen Spenderinnen. Das ein und andere Mal ist es uns schon erfolgreich gelungen größere Mengen gespendete Frauenmilch von den sogenannten externen Spenderinnen an eine Milchbank zu vermitteln. Hier ist dem großen Engagement der Milchbank-Mitarbeiter|innen|Milchbank-Mitarbeitys zu verdanken, dass Milch von teilweise mehr als 100 km Fahrtweg von den Spenderinnen zu Hause abgeholt wurde und sehr vielen kleine Frühgeborenen in den ersten Lebenstage zu Gute kam.

Frauenmilchbank-Initiative e.V.

Gründung: 2018

Sitz: Hamburg

Aktionsraum: Deutschland, Vernetzung mit internationalen Frauenmilchbank-organisationen auf europäischer Ebene und weltweit

Mitglieder: 81

Vorstand: Prof. Dr. Christoph Fusch, Dr. Corinna Gebauer, Judith Karger-Seider, Dr. Daniel Klotz, Barbara Naust

Kontakt: Frauenmilchbank-Initiative e.V.

Püttkampsweg 5

22609 Hamburg

www.frauenmilchbank.de

info@fmbi.de

Rudi Ascherl, FMBI.de

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