Die Ethik im Kindheitsbild der westlichen Kultur (Teil 2)
Naomi Aldort
Das Bild von Kindheit in unserer modernen Welt beruht auf der Idee des defizitären Kindes: Es muss erzogen und geformt werden, denn es kommt unfertig auf die Welt. Dieses Kindheitsbild hat Auswirkungen auf viele Bereiche des Lebens.
Das Konzept der »Verhaltensänderung« ist eine direkte Manifestation der Darstellung der Kindheit als untauglich. Es wird davon ausgegangen, dass Kinder zu Menschen geformt werden müssen, die sich gut benehmen, als ob sie nicht so wären, wie sie sein sollten. Wenn sie sich also so verhalten und handeln, wie es die Natur vorgesehen hat, und ihre eigenen gesunden Bedürfnisse zum Ausdruck bringen, geben sich die Erwachsenen alle Mühe, sie zu stoppen, sie zu bestrafen, zu schelten, zu verletzen und zu betäuben. Das Kind wird als falsch und der Erwachsene als richtig dargestellt. Wenn das Kind aktiv ist, werden ihm Medikamente verschrieben, damit es stillsitzt und den Vorstellungen der Erwachsenen folgt, was es tun oder lernen soll. Wenn ein Kind schüchtern ist, wird ihm die Schüchternheit ausgetrieben, wenn es laut ist, wird es ruhiggestellt, wenn es wach bleiben will, wird es zum Schlafen gezwungen, und wenn es tagsüber müde ist, wird es gezwungen, wach zu bleiben und mit der Klasse mitzuhalten.
Dem Kind werden von Erwachsenen falsche Umgangsformen beigebracht und es wird erwartet, dass es diese Umgangsformen ohne entsprechendes Gefühl anwendet. Es wird bestraft oder ausgeschimpft, wenn es von der erwarteten, diktierten Erwachsenensprache abweicht. Dem Kind, das spielen möchte, wird die Spielzeit verweigert und es wird gezwungen, zu sitzen und zu lernen, und das Kind, das hüpft und nicht in der Lage ist, dem erzwungenen Lernen nachzukommen, wird unter medikamentiert oder bestraft.
Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern sind voll von Befehlen, Korrekturen, Anweisungen und Verboten: Tu dies nicht, setz dich hin, steh auf, räume auf, mach, was ich sage, weine nicht usw. Sie ist auch voll von Drohungen: Wenn du dich nicht beeilst, werde ich …, wenn du so mit mir sprichst …, wenn du nicht aufstehst …, wenn du nicht schlafen gehst …, wenn du nicht aufräumst und so weiter. Das Kind, das in seiner Verzweiflung schreit, beißt, schlägt oder wütet, wird oft ausgeschimpft, abgelenkt oder bestraft, aber es wird ihm nicht zugehört und auch nicht an der Ursache geholfen.