»Damit aus Fragen und kleinen Sorgen keine großen Probleme oder Krisen werden«

In vielen Vereinen und Organisationen gibt es soziales und bürgerschaftliches Engagement rund um die Themen Bildung und Leben mit Kindern. In dieser Reihe werden einige davon vorgestellt.

Ein Interview mit Anna Zacharias von der Nummer gegen Kummer e. V.

Wie ist die Nummer gegen Kummer entstanden und durch wen?

Ursprünglich gegründet wurde das Angebot am 26. September 1970 von drei Mitgliedern des Kinderschutzbundes in Köln. Sie schrieben ihre privaten Telefonnummern auf selbstgebastelte Plakate, die sie in rund 60 Kölner Schulen aufhängten. Tag und Nacht gingen Anrufe ein und die drei Berater|innen|Beratys versuchten, den Ratsuchenden, so gut es ging, mit ihren eigenen Lebenserfahrungen, zu helfen. In Köln landeten damals bereits Anrufe aus ganz Deutschland. Immer mehr Städte in Deutschland ahmten die Idee eines Sorgentelefons für Kinder und Jugendliche nach. Jahre später wurde das Angebot professionalisiert, man einigte sich beispielsweise auf bundesweite Standards, und eine einheitliche kostenfreie Rufnummer für alle Sorgentelefone in Deutschland wurde etabliert.

Anna Zacharias vom Nummer gegen Kummer e.V.

Der Dachverband Nummer gegen Kummer e. V. (NgK) begann 1980 seine Tätigkeit zunächst als Deutscher Kinderschutzbund Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendtelefon und wurde 1994 als eigenständiger Verein mit Sitz in Wuppertal gegründet. Er bietet seitdem sozialen Verbänden die Mitgliedschaft in einem verbandsübergreifenden Netzwerk an, das die flächendeckende Beratung von Kindern, Jugendlichen und Eltern in Deutschland sicherstellt. Mit seinen Mitgliedern hat Nummer gegen Kummer e. V. zwei bundesweite Netzwerke aufgebaut – für Kinder/Jugendliche und für Eltern/Sorgeberechtigte – und bietet seit 40 Jahren Rat und Unterstützung bei kleinen und großen Problemen an. Nummer gegen Kummer e. V. wird von einem ehrenamtlichen Vorstand geleitet. Die Organisation und Koordination werden von den Mitarbeiter|innen|Mitarbeitys an den Standorten und in der Geschäftsstelle in Wuppertal geleistet.

Was ist das Ziel des Vereins?

Der Verein ist aus dem Deutschen Kinderschutzbund hervorgegangen und als Mitglied diesem in seiner Zielsetzung – die Lebensbedingungen sowie die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen deutschlandweit zu verbessern – eng verbunden.

Nummer gegen Kummer hat es sich zum Ziel gesetzt, für alle Kinder und Jugendlichen, ihre Eltern und andere Erziehungspersonen ein schnell erreichbares Gesprächs- und Beratungsangebot in Deutschland zu etablieren. Wir möchten Kindern, Jugendlichen und Eltern Gesprächspartner|innen|partnys sein, wenn andere fehlen. Damit aus Fragen und kleinen Sorgen keine großen Probleme oder Krisen werden.

Wie erreichen Sie diesen?

Junge Menschen finden telefonisch am Kinder- und Jugendtelefon – 0800 – 116 111 und bei der Online-Beratung Rat, Hilfe, Trost und Unterstützung. Müttern, Vätern oder Großeltern und anderen Erziehenden steht mit dem Elterntelefon – 0800 – 111 0 550 ebenfalls ein qualifiziertes Beratungsangebot zur Verfügung.

Die Anonymität der Telefonberatung macht es sowohl Kindern als auch Eltern oft erst möglich, sich Hilfe zu holen. Unsere Beratungsangebote sind erste Anlaufstellen für alle Fragen, Probleme und in besonders kritischen Situationen. Bei Bedarf öffnen sie den Weg zu weiteren Hilfen und geben den Ratsuchenden konkrete Hinweise zu spezifischen Hilfsangeboten, die ihnen bei ihren Problemen angemessen weiterhelfen können. Dafür greifen die Beratenden unter anderem auf eine bundesweite online Datenbank (DAJEB) zurück.

Was haben Sie bis jetzt erreichen können? Gibt es Meilensteine?

Seit dem Bestehen, also seit genau 40 Jahren, baut unser Verein sein bundesweites Beratungsangebot kontinuierlich aus: 1980 mit dem Kinder- und Jugendtelefon gestartet, wurde 1994 die Beratung um den Peer-Ansatz »Jugendliche beraten Jugendliche« ergänzt. 2001 entstand mit dem Elterntelefon ein Beratungsangebot für Eltern und andere Erziehende, die über Sorgen im Zusammenhang mit (ihren) Kindern sprechen möchten. Seit 2003 wird das Angebot für Kinder und Jugendliche um eine em@il-Beratung (heute Online-Beratung) ergänzt, und 2019 ist eine Chat-Beratung dazugekommen.

Seit dem Beginn gesicherter statistischer Aufzeichnungen (1996) haben Tausende ausgebildete ehrenamtlich Beratende ca. 4,7 Mio. Gespräche mit Ratsuchenden geführt. Die Nummer gegen Kummer verfügt über das bundesweit größte ehrenamtlich getragene und verbandsübergreifende Beratungsnetz für Heranwachsende und Eltern in Deutschland.

Was erschwert Ihnen die Arbeit?

Unsere Angebote werden fast ausschließlich von qualifizierten ehrenamtlich engagierten Bürger|innen|Bürgys getragen. Da diese selbst in großer Anzahl von den Auswirkungen der Corona-Pandemie betroffen sind, ist das eine enorme Herausforderung sowohl für die einzelnen Träger als auch für uns als Dachverband. Gerade zu Anfang der Pandemie war für uns schwer planbar, ob und wie wir unsere Beratungsangebote aufrechterhalten können.

Zu unserer großen Freude haben uns sehr viele Standorte nicht nur bei der Sicherstellung der Beratung, sondern auch bei der Ausweitung der Beratungszeiten unterstützt, indem sie mehr personelle Kapazitäten für die Beratung geschaffen haben.

Unsere Angebote haben sowohl einen direkten als auch einen präventiven Hilfecharakter und sind häufig eine erste Kontaktstelle zur Vermittlung weiterer Hilfen im psychosozialen Netz Deutschlands. In einigen Gesprächen machen die Beratenden daher auf Wunsch der Ratsuchenden auf andere und/oder weitergehende Hilfen aufmerksam. Die Anrufenden werden dann über die verschiedenen Einrichtungen und deren Angebote informiert und ermutigt, Kontakt aufzunehmen.

Viele Beratungsinstitutionen bzw. weiterführende Hilfen waren und sind aktuell – wenn überhaupt – nur eingeschränkt erreichbar, Face-to-Face-Kontakte in Beratung, Therapie und Sozialer Arbeit waren im Lockdown kaum mehr möglich. Diese Situation erschwerte es den Berater|innen|Beratys bei NgK auf geeignete Fachstellen und Hilfsangebote für die Ratsuchenden weiter zu verweisen.

Gibt es aktuelle Probleme, die Sie als Verein gerade versuchen zu lösen?

Seit März 2020 ist ein deutlicher Anstieg von Anfragen an unseren Telefonen, insbesondere am Elterntelefon und in der Online-Beratung für Kinder und Jugendliche, zu verzeichnen. Gerade in diesen schwierigen Zeiten haben die leicht erreichbaren und »kontaktlosen« Beratungsangebote der Nummer gegen Kummer eine sehr hohe Bedeutung, da sie – unkompliziert und leicht erreichbar – gut dazu beitragen können, Be- und Überlastungen sowie Ängste abzubauen, und helfen können, Konflikte und Isolationen aufzulösen.

Um den Familien in Deutschland – Eltern, Kindern und Jugendlichen – in der aktuellen Situation noch mehr persönliche Unterstützung (Entlastung, Beratung und Information) zu ermöglichen, haben wir unsere Beratungsangebote bereits seit April 2020 deutlich ausgeweitet (um mehr als 300 %!). Die Erweiterung der Beratungszeiten wurde und wird aktuell neben den ehrenamtlichen Berater|innen|Beratys der Nummer gegen Kummer , die sich vielfach angesprochen sahen, trotz erschwerter Bedingungen und Restriktionen, ihren Dienst an den Beratungsangeboten zu leisten, zusätzlich durch hauptamtliche Fachkräfte des Dachverbandes gewährleistet.

Die Erweiterung der Beratungszeiten und damit einhergehend die Beratung durch Fachberater|innen|beratys der Geschäftsstelle Nummer gegen Kummer ist ein Novum, da bisher die telefonische Beratung ausschließlich durch die ehrenamtlichen Berater|innen|Beratys der Mitgliedsverbände von NgK gewährleistet wurde. Somit konnte auch der Dachverband mit seinen Berater|innen|Beratys das wirklich vorbildliche Engagement unterstützen.

Gibt es denn Hilfen, die Sie für Ihre Mitarbeiter|innen|Mitarbeitys installiert haben, damit sie ihre Arbeit gut leisten können?

Die Wahrung und Verbesserung der Qualität der Beratung ist stets ein wichtiges Moment für uns und auch die Standorte. Für die Beratenden ist es in der aktuellen Krisenzeit nicht einfach, sich selbst in einer herausfordernden Situation zu erleben und nicht zu wissen, wie die Krise ausgehen wird, und dennoch Sicherheit und Zuversicht zu vermitteln. Ergänzend zu den bereits bestehenden qualitätssichernden Maßnahmen vor Ort (Psychohygiene/Selbstfürsorge als Teil in Aus- und Fortbildungen, Supervision, Hintergrunddienst) bietet Nu mmer gegen Kummer e. V. allen ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeiter|innen|Mitarbeitys ein professionelles Coaching zur Unterstützung und Begleitung in schwierigen Beratungssituationen an. Des Weiteren wurden von uns Hintergrundinformationen und Beratungshilfen speziell zur Corona-Situation (z. B. Informationen zu weiterführenden Hilfen im Lockdown) zur Verfügung gestellt.

Auf den aktuellen Anstieg der Anfragen eingehend: Haben sich die Problemstellungen, mit denen die Kinder und Jugendlichen zu Ihnen kommen, aktuell geändert? Oder anders: Welchen Kummer gibt es bei der jungen Generation in der Krisensituation?

Wie die Jahre zuvor waren auch im Jahr 2020 Themen wie Liebe, Sexualität und Partnerschaft sowie Freundschaften wieder Inhalte von zahlreichen Beratungen bei der NgK. Aber sie waren in diesem Jahr nicht so bedeutsam wie 2019. Hingegen haben Inhalte aus den Bereichen »psychosoziale Themen und Gesundheit«, »Probleme in der Familie« und »Gewalt« deutlich an Relevanz für die ratsuchenden Kinder und Jugendlichen gewonnen.

In 2020 wurde – sowohl in absoluten Zahlen als auch im prozentualen Vergleich zum Vorjahr – häufiger über eigene »psychische Probleme«, »Langeweile« und »Einsamkeit« gesprochen (»psychosoziale Themen und Gesundheit«). Im Themenfeld »Familie« gilt dies vor allem für die Auseinandersetzung mit der eigenen »Kind-Eltern-Beziehung«, »Verbote, Regeln, Meinungen« der Eltern und gefühlte/erlebte »Benachteiligung/fehlende Unterstützung« durch die eigene Familie. Und auch das Thema Gewalt wurde von den jungen Ratsuchenden häufiger thematisiert. Im Vergleich 2019 zu 2020 wird hier deutlich, dass vor allem die Probleme »psychische Gewalt« und »Opfer häuslicher Gewalt« in 2020 häufiger ein Grund waren, sich an die Nummer gegen Kummer zu wenden.

Eine Widerspiegelung der veränderten Lebens- und Problemlagen für Kinder und Jugendliche unter »Corona«.

Wie können Interessierte Sie unterstützen?

Unser Ziel ist es, in Zukunft noch mehr Kindern, Jugendlichen und Eltern in schwierigen Lebenssituationen zur Seite zu stehen. Dafür brauchen wir Unterstützung! Denn was viele nicht wissen: Die Nummer gegen Kummer ist eine Initiative bürgerschaftlichen Engagements, deren gesamte Kosten nur zu einem Teil durch öffentliche Mittel gedeckt werden.

Neben Spenden freuen wir uns ebenfalls sehr, wenn interessierte Bürger|innen|Bürgys uns und unsere Standorte mit einem ehrenamtlichen Engagement an unseren Angeboten unterstützen möchten. Die Mitarbeit als Berater|in|Beraty steht grundsätzlich jedem offen. Vor der eigentlichen Beratungstätigkeit an den Telefonen muss eine 70- bis 100-stündige Ausbildung absolviert werden, die an den Standorten selbst organisiert wird. Diese Ausbildung ist meist kostenlos, allerdings wird an einigen Standorten ein Unkostenbeitrag erhoben, der unterschiedlich hoch ist und bei den Standorten selbst erfragt werden kann. Während dieser Ausbildung werden die zukünftigen Berater|innen|Beratys im Rahmen von Selbsterfahrung, dem Erlernen und Üben von Gesprächsführungs- und Beratungstechniken sowie durch die Auseinandersetzung mit Themen, die für die Beratung von Kindern und Jugendlichen bedeutsam sind, auf die ehrenamtliche Beratungstätigkeit am Telefon vorbereitet.

Sowohl durch eine Spende für die Nummer gegen Kummer oder auch durch ihr persönliches Engagement als ehrenamtlich tätige Berater|in|Beraty bei der Nummer gegen Kummer können Bürger|innen|Bürgys gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und dazu beitragen, dass Kinder, Jugendliche und Eltern in schwierigen Lebenssituationen rechtzeitig die nötige Hilfe erhalten!

Welche Frage würden Sie gern gestellt bekommen und beantworten?

Was sind Ihre Wünsche für die Zukunft? Welche Visionen haben Sie für die Nummer gegen Kummer ?

Oh, das ist eine schöne vorwärtsgewandte Frage. Was wünschen Sie sich für die Zukunft für die Nummer gegen Kummer ?

Die aktuelle Situation hat uns gezeigt: Telefonische und Online-Beratung kann Unterstützung im Umgang mit der emotionalen Lage auch während einer Krisensituation leisten. Und: Telefon- und digitale Beratungsangebote sind vermutlich so wichtig wie noch nie! Wir sind sehr darauf bedacht, unsere Beratungsangebote an die Bedürfnisse der Ratsuchenden anzupassen und sie auch zukünftig weiterzuentwickeln und zu verändern. Der weitere Ausbau unserer Angebote und die Erweiterung der Beratungszeiten wären ein weiterer wichtiger Schritt, um den Bedürfnissen von Heranwachsenden und deren Eltern noch gerechter zu werden.

Dafür wäre es zunächst notwendig, NgK als Dachverband und seine Mitgliedsverbände auf sichere finanzielle Füße zu stellen und dass sich auch mehr Bundesländer und Kommunen an einer Finanzierung beteiligen. Denn auch wenn die Beratungsangebote durch überwiegend ehrenamtliches Engagement getragen werden, fallen für unsere einzelnen Träger dennoch hohe Kosten an, die jedes Jahr immer wieder aufs Neue erbracht werden müssen.

Vielen Dank für das Gespräch. sr

1 89 lokale Vereine, davon 74 regionale Untergliederungen des Deutschen Kinderschutzbundes sowie weitere 15 Verbände der freien Kinder- und Jugendhilfe, die einen Standort des Kinder- und Jugendtelefons und/oder Elterntelefons unterhalten.

Nummer gegen Kummer e. V .

Gründung: 1994

Sitz: Hofkamp 108, 42103 Wuppertal

Aktionsraum: Deutschland

Kostenlose und anonyme Beratungsangebote der »Nummer gegen Kummer«:

Kinder- und Jugendtelefon: 116 111

Elterntelefon: 0800 – 111 0 550

Online-Beratung für Kinder und Jugendliche unter:

www.nummergegenkummer.de

Bei Fragen zur Unterstützung und Mitarbeit: Nummer gegen Kummer e. V. / Geschäftsstelle

Telefon: 0202.25 90 59-0

info@nummergegenkummer.de

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