Freiheit ist unser höchstes Gut

Beim diesjährigen Schulfrei-Festival vom 5. bis 8. September in Damelack (Brandenburg) gab es viele Workshops, Musik, Unterhaltung, Neuigkeiten, Gespräche und Informationen rund um die Bildungsfreiheit, ein rundum gelungenes Festival. Ein persönlicher Festivalbericht.

Randy Röhlich

Es ist Montag, ich sitze gerade nach dem Frühstück im Wohnwagen und draußen regnet es. Die Natur hat es bitter nötig. Dennoch bin ich so dankbar, dass ich hier vier tolle Tage bei tollem Wetter verbringen durfte, auch wenn es am ersten Tag sehr windig war und wir durch eine Windböe unser Vorzelt verloren haben. Seit gestern ist es vorbei, das siebte Schulfrei-Festival, welches hier in der verschlafenen Prignitz mehr als tausend Menschen aus dem ganzen Land und dem europäischen Ausland angelockt hat.

Die jungen Menschen vom Septré e. V., zumeist selbst schulfrei oder teilweise schulfrei aufgewachsen, haben sich wieder mächtig ins Zeug gelegt, eine tolle Veranstaltung zu organisieren. Es wurde ein schönes und angenehmes Gelände geschaffen, mit blumengeschmückten Wegen, mit vielen Zelten, Überdachungen, Außenduschen und Wasserstellen sowie zahlreichen Müllbehältern. Und auch während des Festivals wurde immer wieder auf Sauberkeit geachtet, die Behälter mehrmals täglich ausgeleert und die Toiletten sogar spät abends noch geputzt.

Ein buntes und vielfältiges Angebot

An allen Tagen gab es eine große Zahl an tollen Workshops, mit informativen und unterhaltsamen Angeboten – wie: Webseiten erstellen mit Wordpress, Papierflieger bauen, Formen mit Ton, Animal Movement, Jugger spielen, Textildruck, Selbstverteidigung, Kindergeldbezug und Wohnsitzwechsel, Kinderbundschuhe selber herstellen, Slowfood durch Fermentation, Tango Argentino, Schnitzen, Häkeln, Spinnen mit der Handspindel, Runen lernen, Löffel schnitzen, Batik, Salsa, Mundharmonika spielen, Trockenfilzen, Bogenschießen, Training für Gerichtsverhandlungen, Linoldruck – und natürlich, was zu einem Festival gehört, viel Musik und Unterhaltung für Klein und Groß. Auch eine tolle Idee, ein Tausch- und Verschenke-Pavillon, wo jeder überzählige Sachen abgeben oder sich etwas mitnehmen konnte. Im angrenzenden Wald haben den ganzen Tag Kinder gespielt, Zelte, Häuser und Burgen gebaut.

Zirka tausend Menschen nahmen am siebten Schulfrei-Festival teil.

Meist hatte ich gar nicht genug Zeit, alle Angebote anzunehmen, die mich interessieren. Dieses Mal war ich bei einem Workshop zum Thema autarke Stromversorgung mit Hilfe von Solarzellen. Auch wenn ich bereits seit Jahren so eine Anlage auf meinem Wohnwagen habe, konnte ich doch hilfreiche Tipps und Antworten mitnehmen.

Bei einem anderen, mir wichtigen Workshop, über Permakultur nach südamerikanischer Interpretation, habe ich tolle Leute und Projekte kennengelernt und im Anschluss haben wir uns vernetzt.

Schon am Freitagmittag stand der von mir gehaltene Workshop zum Thema Kindergeldbezug beim Reisen und Leben im Ausland auf dem Programm. So wie letztes Jahr auch, wurde er sehr gut angenommen und mehr als 40 Menschen nahmen teil. Es fand ein reger Austausch der verschiedenen Erfahrungen statt. Im Anschluss wurde ich von vielen Eltern um Rat gebeten, ist doch jede Familiensituation einzigartig. Zufälligerweise hielt die Berliner Rechtsanwältin Christina Gavric am Samstagnachmittag einen Vortrag zu fast dem gleichen Thema. Da dieser Vortrag mit meinem Workshop korrelierte, habe ich, zusammen mit sehr vielen anderen Eltern diesem informativen Vortrag beigewohnt.

Meine Frau und unsere Kinder haben sich eher den sportlichen und handwerklichen Workshops gewidmet, wie Animal Move, Salsa, Batik färben oder Löffel schnitzen.

Stände und Informationspunkte

Am Haupteingang gab es für alle Eintrittsbändchen, welche so mancher über die Jahre sammelt und immer in Ehren trägt, sowie kleine Willkommensgeschenke und ein Programm fürs Wochenende. Gleich neben dem Empfangspavillon befand sich die Infotafel mit einer Übersicht über alle Workshops und Angebote. Neben diversen Verkaufsständen mit vielfältigen handwerklichen Arbeiten, gab es den Infostand vom Freilerner Verein BVNL e. V., dem Bundesverband Natürlich Lernen, in welchem ich selbst drei Jahre im Vorstand mitarbeitete. Im BVNL sind mittlerweile über 400 Menschen vereint und hier auf dem Schulfrei-Festival haben Günter Przybylski und Kristin Lehmann aus Leipzig immer wieder den Fragenden Rede und Antwort gestanden. Auch gab es hier einen großen Tisch mit Literatur und zahlreichem Informationsmaterial und Broschüren. An einer anderen Stelle der Festwiese war der Stand von Kern-Bildung von Karen und Matthias Kern, welcher auch als Stand für die FSG, die Freilerner-Solidargemeinschaft, fungierte. In einer Gesprächsrunde hat sich die Clonlara-Schule vorgestellt, eine ursprünglich US-amerikanische Fernschule, die seit vielen Jahren international verbreitet ist und von der u. a. viele reisende Kinder betreut werden.

Fridays for Future

Am Freitag wurde eine Demonstration organisiert, die durch das angrenzende Damelack führte, eine richtige Fridays-for-Future-Demo, an der sich viele der anwesenden jungen Menschen beteiligten. Wie überall im Land gab es dazu auch hier Kritiker, woran ich einmal mehr merkte, wie gespalten die Gesellschaft ist, und das auch hier auf dem Festival, wo alle zumindest den gleichen Wunsch, nämlich der Bildungsfreiheit, haben. Das Gute daran, die jungen Menschen mussten nicht die Schule schwänzen, sie besuchen sie zumeist ja sowieso nicht.

Der Gaumen darf nicht zu kurz kommen

Das kulinarische Angebot ist natürlich nicht zu vergessen, eine alkoholfreie Bar hat die Durstigen versorgt, es gab von Falafel, über frische Bio-Crêpes, frischem Kaffee, Bio-Gemüse und -Backwaren aus der Region bis zur regelrechten Show-Pizzeria alles, was der Gaumen des drogenfreien und umweltbewussten Menschen begehrt. In der Pizzeria wurden gefühlt Tag und Nacht die leckeren Teigfladen mit unterschiedlichen Gemüse- und Käsebelägen im unermüdlich gefütterten Lehmofen knusprig gebacken. Anschließend wurden sie fast genauso schnell verspeist, und alle konnten hinter der Theke die vielen fleißigen Hände beobachten, welche liebevoll die leckeren Zutaten auf den nicht weniger enthusiastisch gerollten Teig legten.

Musikalische Leckerbissen

Für mich persönlich ist das musikalische Rahmenprogramm dieses Festivals eher Nebensache. Dennoch muss ich zugeben, hörte ich auch immer wieder sehr tolle Klänge und vor allem Texte. Gerade am Sonntag wurde ich von der musikalischen Darbietung von Chalina, einer der jungen Frauen vom Orga-Team, sehr angenehm überrascht. Unter anderen sang sie das in Freilernerkreisen so populäre Lied Testament von Sarah Lesch. Für mich zum Verwechseln ähnlich, hatte ich doch vor einigen Jahren das Vergnügen, Sarah Lesch selbst kennenzulernen.

Eine interessante Begegnung

Gleich am ersten Tag entdeckte ich Anne Sono mit ihrem Filmteam. Anne Sono ist Filmemacherin und hatte vor 12 Jahren den Film Schulfrei produziert, welcher im tologo verlag erhältlich ist. In einem Gespräch habe ich erfahren, dass eine Fortsetzung dieses Filmes geplant ist und hier beim Schulfrei-Festival die ersten Aufnahmen dazu gemacht werden. Ich bin schon total gespannt auf das Ergebnis.

Gespräche und Austausch über Lernen ohne Schule beim gemeinsamen Basteln und Bauen.

Warum es mich immer wieder hierher zieht

Für mich der wichtigste Punkt hierherzukommen, war und ist wie jedes Jahr, Freunde, Bekannte und bisher Unbekannte zu treffen und kennenzulernen. Die vielen tollen Gespräche und Begegnungen füllen immer wieder diese Tage aus. Seit mehr als 11 Jahren bin ich mit meiner Familie bei Continuum-Concept-Treffen, Unerzogen-Treffen und Freilernerteffen Gast und ab und zu auch selbst aktiv in der Organisation. Die vielen Freunde und Bekannte sind im Laufe der Jahre zu einer großen, stets wachsenden Familie geworden. Viele der Freunde haben aufgrund der rechtlichen Situation in Deutschland es vorgezogen, ins Ausland zu ziehen oder auf Reisen zu gehen. Umso mehr sind wir immer alle erfreut, uns wenigstens in diesen wenigen Tagen einmal im Jahr wiederzusehen und zusammen zu sein. Auch ist die gesamte Schulfrei-Bewegung aus diversen Gründen stetig am Wachsen. Und so sehe ich ständig neue Gesichter aus den unterschiedlichsten sozialen und ökonomischen Schichten, die sich mit dem Thema der Bildungsfreiheit und Bildungsvielfalt auseinandersetzen. So höre ich auch immer wieder neue interessante, manchmal erschreckende und oft auch sehr erfreuliche Lebensgeschichten.

Vom Handwerker, über den Künstler bis zum Akademiker

Auf der Campwiese treffen sich Menschen, die sich über ihre Art des Reisens und Campens austauschen. Sind doch aus allen erdenklichen gesellschaftlichen Schichten Menschen dabei, der erfahrene Camper, wie auch der Neuling und Einsteiger. Da gibt es das kleine Zelt, wo gerade mal ein Mensch Platz hat, bis zum riesengroßen Wohnmobil oder doppelachsigen Wohnwagen. Alle haben ja immer die gleichen Probleme, die Versorgung mit Wasser und Strom sowie die Entsorgung von Abwasser und Müll. Auch stabiler Stand, das Finden von guten Stellplätzen, das Überwintern im Süden, oder einfach nur das optimale Aufstellen bei Sonne, Wind und Regen sind Gesprächsgegenstand. So gibt es immer zahlreiche Fragen, Tipps und regen Austausch.

Das sagen die Veranstalter

Den ganzen Montag hat es geregnet, trotzdem wurde in den weniger intensiven Regenphasen aufgeräumt und abgebaut. Dienstag schien dann wieder die Sonne und ich hatte ab und zu die Gelegenheit, mit einigen von der Crew zu plaudern. Es waren zwar etwas weniger Besucher als letztes Jahr da, aber mit ca. 1.300 waren Chalina und Tabea Kratzenstein trotzdem zufrieden, besonders da schlechteres Wetter angesagt war. Doch zum Glück war das Wetter fast durchgängig super bis auf ein oder zwei Schauer und etwas Wind am ersten Tag. Die beiden waren auch sehr zufrieden, dass alles gut gelaufen ist.

Mein Fazit

Freiheit ist unser höchstes Gut, diese gilt es zu erhalten oder zu erlangen, und genau deswegen bin ich seit vielen Jahren für die Bildungsfreiheit aktiv. Ich bin so froh für die vielen tollen Erfahrungen und Begegnungen, die ich hier jedes Jahr machen darf, darum bin ich ganz bestimmt 2020 wieder mit dabei.

Randy Röhlich

ist 46 Jahre alt und Permakultur-Berater und -Gestalter. Er betreut immer wieder auch Projekte im Ausland und ist oft auf Reisen. Der Vater von zwei Kindern ist seit 2008 Mitglied im BVNL e. V. und war dort einige Jahre im Vorst and tätig. Mehr zu ihm auf www.mehrpermaalskultur.de.

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